Schwanger trotz Spirale

View of examination during pregnancy with stethoscope

In der heutigen modernen Zeit muss keine Frau schwanger werden, wenn sie das nicht möchte. Die Verhütungsmethoden sind zahlreich, angefangen mit der Pille, über Kondome bis hin zur Dreimonatsspritze. Auch die Verhütung mit Hilfe einer Spirale ist für elf Prozent der deutschen Frauen die erste Wahl. Obwohl jede dieser Verhütungsmethoden als äußerst zuverlässig eingestuft wird, kann eine  hundertprozentige Sicherheit vor einer Schwangerschaft nicht garantiert werden. Erst recht nicht, wenn die Mittel nicht korrekt angewandt werden. So kommt es schon einmal vor, dass Frauen ihre Pilleneinnahme vergessen oder aber der Arzt die Spirale falsch einsetzt. In solchen Fällen kann die empfängnisverhütende Wirkung beeinträchtigt werden und es möglicherweise zur Schwangerschaft kommen. Muss der Arzt in einer derartigen Situation für seine fehlerhafte Behandlung haften oder kann er nicht zur Verantwortung gezogen werden?

Schwanger trotz Spirale

Geklagt hatten eine Patientin und ihr Lebensgefährte, weil die Frau schwanger wurde, obwohl ihr der Gynäkologe eine Spirale zur Verhütung eingesetzt hatte. Zwei Jahre nach dem Einsetzen wurde die Klägerin schwanger und brachte eine gesunde Tochter zur Welt. Da sie der Auffassung war, dass der Arzt die „Anomalie einer doppelten Vagina und Uterus“ bei der Ultraschalluntersuchung hätte erkennen und daraufhin vom Einsetzen der Spirale abraten müssen, forderte sie von diesem Schadensersatz, unter anderem Verdienstausfall von rund 28.000 Euro sowie Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro und zudem den Ersatz von Betreuungs- und Unterhaltsleistungen für die Tochter, bis diese volljährig ist.

Keine Arzthaftung für Diagnoseirrtum

Das Oberlandesgericht Hamm hat die Klage nach Einholen eines Sachverständigengutachtens abgewiesen. Der beklagte Arzt habe keinen Befunderhebungsfehler begangen. Er hat alle Untersuchungen durchgeführt, die im Rahmen des Einsetzens der Spirale notwendig waren. Für das Vorliegen der Anomalie gab es bei der Klägerin im Vorfeld keine Hinweise, weshalb der Arzt auch nicht spezifisch nach einer solchen hätte suchen müssen. Der beklagte Gynäkologe muss auch nicht für eine falsche Diagnose haften.

Durch das Ziehen eines falschen Schlusses nach einer gründlichen Untersuchung hat der Arzt einen Diagnoseirrtum begangen, der für sich nicht haftungsbegründet ist. Erst bei einem Diagnosefehler muss der Arzt haften, wenn also die Diagnose zum Behandlungszeitpunkt nach Ansicht eines gewissenshaften Mediziners nicht vertretbar ist. Das war nicht der Fall, wie die Gutachten der Sachverständigen bestätigten. Die Anomalie der Frau sei sehr selten und bei einer Spiegelung in der Regel nicht erkennbar. Den Arzt treffe keine Schuld, zumal sich die Frau bereits jahrelang in frauenärztlicher Behandlung befand und es zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte für eine bestehende Anomalie gegeben habe.

Was versteht man unter einem Diagnoseirrtum?

Ein Diagnoseirrtum ist eine falsche oder unvollständige Beurteilung einer Krankheit oder eines Gesundheitszustandes durch einen Arzt. Eine Fehldiagnose kann verschiedene Ursachen haben, z. B. eine Fehlinterpretation von Befunden, eine unzureichende Untersuchung oder eine Verwechslung von Symptomen. Eine Fehldiagnose kann schwerwiegende Folgen für den Patienten haben, z. B. eine Verschlechterung des Gesundheitszustands, eine unnötige oder schädliche Behandlung oder eine verzögerte oder ausbleibende Heilung.

Wann haftet der Arzt für einen Diagnoseirrtum?

Ein Arzt haftet für einen Diagnoseirrtum, wenn er dadurch seine ärztliche Sorgfaltspflicht verletzt und dem Patienten einen Schaden zufügt. Die Sorgfaltspflicht verlangt, dass der Arzt die notwendigen Untersuchungen durchführt, die Befunde richtig interpretiert und die richtige Behandlung einleitet. Dabei hat er sich an den allgemein anerkannten medizinischen Standards zu orientieren. Der Arzt haftet nicht für einen Diagnosefehler, wenn er trotz falscher Diagnose eine fachgerechte und unschädliche Behandlung durchführt oder wenn er bei schwieriger oder unklarer Diagnosestellung einem vertretbaren Irrtum unterliegt.

Wie kann der Patient einen Diagnoseirrtum nachweisen?

Der Patient muss einen Diagnosefehler als Schadensursache nachweisen, um Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadenersatz zu haben. Dazu muss er Folgendes beweisen:

– Zwischen Arzt und Patient bestand ein Behandlungsvertrag.

– Der Arzt hat einen Diagnosefehler begangen, indem er medizinische Standards oder Sorgfaltspflichten missachtet hat.

– Der Patient hat durch den Diagnosefehler einen Gesundheitsschaden erlitten, der ohne den Fehler nicht eingetreten wäre.

– Zwischen dem Diagnosefehler und dem Schaden besteht ein Kausalzusammenhang.

Als Beweismittel kommen unter anderem Krankenakten, Gutachten, Fotos, Zeugenaussagen und ärztliche Zweitmeinungen in Betracht.

Was versteht man unter einem Diagnosefehler?

Ein Diagnosefehler liegt vor, wenn ein Arzt oder eine Ärztin die Symptome eines Patienten oder einer Patientin falsch interpretiert, die erhobenen Befunde nicht richtig auswertet oder die Diagnose nicht nach den aktuellen medizinischen Standards stellt. Ein Diagnosefehler kann zu einer falschen oder verspäteten Behandlung führen, die einen gesundheitlichen Schaden für den Patienten oder die Patientin zur Folge hat.

Der Diagnosefehler ist ein Unterfall des ärztlichen Behandlungsfehlers und kann einen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld begründen. Um einen solchen Anspruch geltend zu machen, muss der Patient oder die Patientin nachweisen, dass der Arzt oder die Ärztin die ärztliche Sorgfaltspflicht verletzt hat und dass diese Verletzung für den Schaden ursächlich war.

Es gibt verschiedene Arten von Diagnosefehlern, die je nach Schweregrad unterschiedliche Auswirkungen auf den Arzthaftungsprozess haben können. Ein einfacher Diagnosefehler liegt vor, wenn der Arzt oder die Ärztin eine Fehlinterpretation von Symptomen oder Befunden vornimmt, die noch vertretbar ist. Ein grober Befunderhebungsfehler liegt vor, wenn der Arzt oder die Ärztin eine Fehlinterpretation vornimmt, die aus medizinischer Sicht unverständlich ist und schlicht nicht vorkommen darf.

Quelle:

Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Hamm vom 08.06.2015; AZ: 26 U 2/13

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